1. Das Treffen in Stormwind
Stormwind, ein kleines Zimmer in der Altstadt, kurz nach Mitternacht, wenige Jahre nach dem letzten verheerenden Überfall der Brennenden Legionen.
„Dir ist doch klar, dass du dich damit ständig in Teufels Küche bringen wirst?“ Dellin, einer jener wenigen echten Paladine, die lieber lachend in den Tod gingen als auch nur den Anschein von Unredlichkeit oder Feigheit auf dem strahlenden Schild ihrer Ehre zu dulden, sah sein Gegenüber missbilligend an.
Moriabro, die hübsche, zierliche Schurkin, zuckte mit den Schultern und ihre neuen Hillmann-Schulterstücke wippten nach. „Wenn du eine bessere Idee hast – ich bin ganz Ohr.“ Niemand, der jemals erfahren hatte, wie gefährlich diese reizvolle Frau tatsächlich war, hatte noch Gelegenheit gehabt, sein Wissen weiter zu geben.
Nur Dellin und zwei Befehlshaber der Wächtertruppen in Lakeshire hatten sie in voller Aktion erlebt und wussten, dass Angst in ihrer Vorstellung keinen Platz hatte. Oft genug hatte Dellin seine liebe Not damit, ihre ungestümen Angriffe wenigstens soweit zu unterstützen, dass sie beide wieder lebend nach Hause kamen.
Moriabro begann, ihre Ausrüstung zu untersuchen und für einen neuen Einsatz anders zusammen zu stellen. Diesmal würde es mehr denn je auf Schnelligkeit ankommen, auf Unauffälligkeit - und vor allem darauf, dass niemand sie später identifizieren konnte. Sollte sie jemals in den Fokus des Gegners geraten und auf seine Abschussliste kommen, wäre ihre Arbeit äußerst erschwert.
Dellin stieß heftig den Atem aus. Natürlich gab es keine Alternative, wenn ihrer beider Annahme richtig war. Aber deshalb musste es ihm ja nicht besser gefallen. „Damit katapultierst du dich an die erste Stelle aller Anwärter auf den Henker – dort ebenso wie hier bei uns.“
Moriabro lachte hart auf. „Henker? Lächerlich. Ein völlig überschätzter Berufsstand.“
Jenseits ihrer jeweiligen Tagesaufträge im Dienste der Allianz hatten sie sich immer wieder weit in feindliches Gebiet vor gewagt und dabei zu ihrer zunehmenden Bestürzung feststellen müssen, dass die hier im eigenen Territorium so verhassten Feinde dort in ihren Städten und Dörfern ein scheinbar ganz normales Leben führten. Sie liebten ihre Kinder, bildeten einander sorgfältig in Berufen und Künsten aus und zeigten eine angesichts der so oft verwüsteten Landschaften erstaunliche Naturverbundenheit. Das passte so gar nicht in das von der hiesigen Obrigkeit vermittelte Bild der bösen, mordlüsternen Bestien.
Moriabro und Dellin hatten unabhängig von einander immer wieder Versuche unternommen, sich trotz der unüberwindlich scheinenden Sprachbarrieren mit weniger aggressiv erscheinenden Orks, Trollen und Tauren zu verständigen. Aber immer dann, wenn sie dabei Fortschritte zu machen schienen, tauchten Regierungstruppen der Horde (oder der Allianz, wenn sie sich auf deren Gebiet befanden) auf, die ohne Zögern und mit aller Heftigkeit alles angriffen, was nach Feind aussah.
Seit Dellin und Moriabro eines Tages zufällig und tief im Hordegebiet aufeinander trafen und sich nur mit Mühe und gemeinsam einer heftigen Attacke von Taurenkriegern erwehren konnten, hatten sie sich häufiger getroffen. Rasch erkannten sie in dem anderen einen Gleichgesinnten und vor allem verlässlichen Mitstreiter.
Für einen Paladin wie Dellin waren zuverlässige Freundschaften mehr oder weniger normal, wenn er sich denn auf eine solche einließ. Eine Schurkin wie Moriabro hatte dabei sehr viel mehr mit ihrem Grundmisstrauen zu kämpfen. „Traue niemandem, der nicht mindestens seit einer Stunde tot vor dir liegt.“, war ihr Grundsatz. Diese Einstellung machte sie zur unabhängigen Einzelgängerin, aber auch oft einsam. Mit Dellin hatte sie zum ersten Mal jemanden getroffen, der wortlos einfach zur Stelle war, wenn er wirklich gebraucht wurde. Dellin war auch niemand, der leichtfertig Freundschaften oder auch nur Bündnisse einging – war dann jedoch um so zuverlässiger. Ein echter Paladin eben.
Aber vor allem hatte sie zu ihrem großen Verdruss feststellen müssen, dass die Aufgaben zunehmend weniger im Alleingang zu bewältigen waren. Moriabro hatte kein Problem damit, sich tagelang auf einer Bergspitze aufzuhalten, von Käse, Wasser und Brot zu leben (aus eher „sportlichen“ Gründen stets gestohlene Lebensmittel) und in aller Ruhe die Umgebung zu beobachten, bis sie ganz sicher sein konnte, keine vermeidbaren Überraschungen zu erleben, wenn sie sich dem Ziel ihres Auftrages näherte.
Diese Aufträge waren simpel und gehörten zu den ältesten Tätigkeiten überhaupt: Sie tötete für Geld. Eine Vorstellung, mit der sich nun wieder Dellin absolut nicht anfreunden konnte. Obwohl er die Notwendigkeit oft einsehen musste. Aber seiner Überzeugung nach hatte dies als Ehrendienst im ehrlichen, offenen Kampf zu geschehen, bei dem dann eben der stärkere, geschicktere und pfiffigere Kämpfer gewann.
So eine Sicht der Dinge ging Moriabro völlig an ihrer knackigen Sitzfläche vorbei! Auch wenn sie nicht für jeden beliebigen Auftrag zu haben war – hinsichtlich der Art und Weise seiner Erfüllung ließ sie sich nicht dazwischen reden. Wenn es erfolgversprechend schien, rammte sie eben dem Gegner einen Giftdolch in den Rücken und sah aus sicherer Entfernung emotionslos zu, wie das Leben aus ihm wich.
Legendär war ihr Auftrag weit im Sumpfland, als sie zwei Tage in der Jauchgrube eines Trolldorfes verbrachte, bis sich ihr Ziel zur Verrichtung seiner Notdurft direkt über sie hockte. Sie rammte ihm von unten ihren Dolch mit einem sofort lähmenden Gift tief in den Leib und zog den völlig überraschten Troll zu sich in die stinkige Brühe, bis er jämmerlich verreckt war. Als seine Artgenossen ihn vermissten, suchten und endlich fanden, war Moriabro längst wieder auf Allianzterritorium. Einen ganzen Tag war sie dort dann damit beschäftigt, ein Badehaus nach dem anderen aufzusuchen, weil sie immer noch den Gestank der Trollfäkalien an sich zu riechen glaubte. Der örtliche Seifenhändler in Stormwind machte damals das Geschäft seines Lebens.
Ein sich hartnäckig haltendes Gerücht besagte auch, sie habe dem Baron einer berühmten Gilde dessen Schlachtross derartig geschickt gestohlen, dass dieser noch eine Stunde allein mit dem Sattel weiter geritten sei, bevor er den Verlust bemerkte und zu Boden fiel.
Auch wenn das nur eine spaßige Geschichte ist, die vom einfachen Volk begeistert kolportiert wurde – durchaus verbürgt ist die Sache mit den Bratwürsten.
Eines Tages gab es in Stormwind ein geradezu üppiges Angebot an ebenso schmackhaften wie preiswerten Rossbratwürsten. Als ruchbar wurde, dass die Gastwirte und Markstände von Moriabro beliefert worden seien, suchten fast alle Paladine und andern Reiter unter den fadenscheinigsten Vorwänden die Stallungen auf, um sich vom Wohlergehen ihres eigenen Reittieres zu überzeugen.
Diese Art Belustigung mehrte das Ansehen von Schurken insgesamt zumindest unter den Knappen und niederen Diensträngen der Gilden und schien sie als durchaus für derbere Späße zu haben auszuweisen. Moriabro und Miroshiva (eine elfische Kollegin) hingegen betrachteten so etwas als Imagepflege derart, dass ein Spaßvogel nicht mehr ganz so ernst genommen würde. Und wenn man ein wenig unterschätzt wird, konnte dies bei einem der nächsten Aufträge den Ausschlag geben.
„Die werden dich einfach totschlagen, sobald sie dich sehen.“, grummelte Dellin. Aber er wusste natürlich, dass man eher den berüchtigten Schneider Mlordi dazu bringen konnte, seine hochentwickelten Kleidungsstücke zu verschenken als Moriabro eine Idee auszureden.
„Ich werde mit Ndee, der sich dort gut auskennt, in das Orkdorf schleichen und noch einmal versuchen, mit dem Schmied dort zu sprechen – oder wie man das nennen soll. Es ist schon so viel Blut geflossen und die Hexenmeister dort stacheln immer wieder alle auf, die Allianz anzugreifen. Das geht nicht mit rechten Dingen zu. Hier in Stormwind und anderen Allianzgebieten übrigens auch nicht, wie du weißt, Dellin. Irgend etwas läuft da völlig falsch – und wenn wir erst einmal miteinander kommunizieren können, lässt sich vielleicht grundsätzlich etwas klären.“
Ndee war ein Jäger der Allianz, der dem Braten auch nicht mehr traute und sich immer wieder in Hordegebiete durchschlug, um höchst seltene und begehrte Felle zu erbeuten. Bei diesen Streifzügen, die ihn immer wieder in die Nähe feindlicher Siedlungen führten, hatte er oft genug Grund gehabt, an den offiziellen Verlautbarungen der Allianzoberen zu zweifeln.
„Wichtig ist aber vor allem erst einmal, dass ich alle Greifenstationen besuche und mit den Greifenmeistern ein Abkommen treffen kann. Wenn ich überall hinfliegen kann, kann ich auch schnell reagieren und meine Kenntnisse erweitern, ohne auf langen beschwerlichen Fußmärschen von irgendwelchen idiotischen Schildkröten aufgehalten oder gar getötet zu werden.“
Die großen Entfernungen waren ein echtes Handicap für Moriabro. Zwar konnte man sich irgendwann ein eigenes Reittier leisten, wenn auch nicht so edel und schön wie die Paladine mit ihren Rossbratw.. äh.. Schlachtrössern. Aber hoch zu Pferde zu schleichen ist ebenso effektiv wie die heimliche Annäherung mit einem Spielmannszug. Also würde sie in den kommenden Tagen verstärkt daran arbeiten, alle erreichbaren Greifenstationen und Passagierhäfen zu erkunden und sich so das Transportnetz beider Kontinente verfügbar zu machen.
„Ich kann dir in diesem Fall aber nicht helfen,“ bedauerte Dellin diesen Umstand sichtlich, „die sehen mich doch schon auf große Entfernung.“
Helfen wollen und nicht können, musste für einen Paladin wohl sehr schlimm sein, dachte Moriabro und wuschelte Dellin kurz durchs Haar. „Ist schon gut so, Dellin. Immerhin ist hier jemand, der mir die Daumen drücken kann. Die anderen Gildeleute sind ja ohnehin damit beschäftigt, sich die Eier zu schaukeln oder bunte Tüten zu kleben.“
Manchmal vergaß sie, dass sie im Range eines Tafelritters zur Gilde der „Knights of the Round“ gehörte. Schon lange bevor sie alle hierher kamen, hatten sie in den Niederungen von Harrogath, der „Festung des Wahnsinns“ und in den Sümpfen und Katakomben um Kurast gegen die Ableger der höllischen Abgesandten gekämpft, hatten Mephisto und Baal zurück in die Hölle gejagt. Doch hier ging es jetzt wirklich um die Wurst, ging es gegen die Brennenden Legionen – und gegen äußerst geschickt operierende Verräter in den eigenen Reihen. Hüben wie drüben, wie Dellin und Moriabro inzwischen sicher waren.
Daher konnten sie nicht öffentlich über ihre Vermutungen sprechen, denn sie wussten einfach nicht, wem sie vertrauen konnten. Das war für einen edlen Paladin wohl schwerer als für eine Schurkin und ehemalige Attentäterin, die hier wieder ihrem alten Beruf nachzugehen gezwungen war. Dabei hatte sie gedacht, sich hier nur ihrer Passion der Kürschnerei und Lederverarbeitung widmen zu können. Aber nüschte war’s damit! Betrogen und verraten zu werden, das war das Weltbild, mit dem Moriabro aufgewachsen war und sie hatte aus der Not eine Tugend gemacht: Wenn ihr es so wollt – gut, könnt ihr haben! Aber dann zieht euch warm an!
„Ich habe hier noch etwas für dich, Moriabro.“ Dellin überreichte ihr zwei funkelnagelneue Dolche. „Ich habe diese beiden Messer selbst geschmiedet und dann einen Maigier getroffen, einen Experten was Verzauberung betrifft. Er hat die beiden Dolche wirklich ausgezeichnet hin bekommen, wie du gleich sehen wirst. Damit steigen die Chancen doch erheblich, dass ich zumindest noch sehen kann, wo sie dich beerdigen.“ Manchmal konnte Dellin ganz schön boshaft einher schwatzen, fand Moriabro.
„Danke.“, nickte sie und nahm die zwei Dolche prüfend in die Hände. Oh! Ausgezeichnet lagen sie in der Hand! Sie fühlte sofort die magische Aura, die von beiden neuen Waffen ausging. „Holla Specht! Was hat er denn mit denen gemacht?“, entfuhr es ihr. Sie untersuchte die zwei Dolche näher und war erstaunt. „So viel Schaden wie mit einem der beiden Dolche mache ich nicht einmal mit meine beiden alten zusammen.“ Sie steckte sie probehalber in die rechts und links am Gürtel befindlichen Scheiden und als sie beide Dolche zugleich blitzartig zog, hatte sie das Gefühl, sie würden ihr geradezu in die Hände springen.
„Fett, Dellin! Feuer und Eis, arkanisch und Schnelligkeit. Und dazu noch mein Gift dann. Damit kann ich den halben Kontinent umpflügen!“
„Mach das, dann haste wenigstens reichlich frische Erde auf deinem Grab.“, entgegnete Dellin sarkastisch. Aber er war doch sichtlich erfreut, dass seine beiden Geschenke so gut aufgenommen wurden. Dellin war Waffenschmied von Beruf, machte aber eigentlich nur Schwerter zum Eigenbedarf. Diese Dolche waren ein offensichtlich sehr gelungener Versuch, seine Kenntnisse einmal auf andere Waffen anzuwenden.
„Ich habe auch noch zwei Kisten gefunden, die du aufmachen könntest. Vielleicht ist da ja auch noch etwas drin, was du brauchen kannst.“ Klar, dachte sie, typisch Paladin. Was ICH brauchen kann, daran denkt er zuerst. Wenn guter Wille Kopfschmerzen machen würde, liefen die Paladine wahrscheinlich nur noch schreiend durch die Gegend!
Als Schurkin war Moriabro natürlich fit im Knacken aller möglichen und unmöglichen Schlösser. Selbst die durch äußere und verborgene Zauber gesicherten Kisten machten ihr keine Angst mehr.
Dellin stellte beide Schatztruhen auf den Tisch und sah zu, wie Moriabro mit flinken Fingern die erste Truhe knackte. Beide besahen sich neugierig den Inhalt und fingen an zu lachen.
„Fischknorpelsalat und Melonensaft!“, grinste Moriabro. „Wenn ich das bei den Tauren anbiete, ergeben die sich rudelweise der Allianz.“ In der Truhe waren nur der Melonensaft und ein Rezept für Fischknorpelsalat nebst einer Kostprobe. Beide verzichteten jedoch dankend darauf, davon zu probieren.
Die zweite Truhe erwies sich als ungewöhnlich widerspenstig. Erst nach sieben Versuchen, als Moriabro schon aufgeben wollte, gelang es ihr, die Schatulle zu öffnen. Sofort erhob sich ein leises Fauchen und aus dem Inneren der Kiste drang ein Nebel, der die beiden einhüllte. Sie zuckten zurück, aber da begann sich der Nebel schon zu verflüchtigen.
Sie warteten ein paar Minuten, aber nichts geschah. „Alles o.k. bei dir, Dellin?“ fragte Moriabro. Dellin nickte nur und guckte dann in die offene Kiste. „Da liegt nur noch ein Pergament drin.“ Vorsichtig griff er hinein und holte das Schriftstück heraus.
„Hm.“, grummelte Dellin nach einem Blick auf die Schriftzüge. „Das kann ich nicht lesen, was ist das für eine Sprache?“ Er reichte ihr das Schriftstück und sie erkannte die Schrift sofort. „Das ist die alte Elfensprache, die nur noch von den Magiern und Zauberkundigen benutzt wird. Miroshiva hat mich einmal zu einer Sprachenlehrerin geschleift. Vielleicht ist ja noch genug hängen geblieben. Sonst müssen wir nach Darnassas fliegen und dort fragen.“
„Beeile dich lieber, die Rolle löst sich schon auf.“ Mit der Rechten deutete Dellin auf den Rand des Pergamentes, das sich aufzulösen begann. „Verdammte Sauerei!“ schimpfte Moriabro und konzentrierte sich auf den bereits verblassenden Text. Erst als das Pergament zu Staub zerfallen war, richtete sie sich auf und sah den Paladin an.
„Wenn das stimmt, was ich entziffern konnte, hat der Nebel was mit unserer Ausrüstung gemacht, das nur wirkt, wenn wir sie so beisammen lassen, wie wir sie jetzt tragen.“
Misstrauisch beäugten beide ihre Rüstungen, Waffen, Stiefel und alles andere. „Mir kommen meine Sachen irgendwie bläulich vor.“, meinte Dellin dann. Moriabro hatte eben die gleiche Entdeckung bei ihren Sachen gemacht.
„Blau ist die Farbe des arkanen Widerstandes.“, rekapitulierte Moriabro die wenigen Informationen, die sie noch aus ihrer Zeit im Weltenbaum der Elfen erinnerte. „Es gibt bei den Elfen ein Gerücht, eine Legende, wonach einem der Magier ein Zufallstreffer gelang. Er hatte angeblich ein paar Essenzen umgestoßen und daraus soll sich ein Nebel entwickelt haben. Wenn das stimmt, dann sind unsere Ausrüstungen jetzt, wenn wir sie nicht verändern, immer eine Idee stärker als die negativen Kräfte, die auf sie einwirken.“
Während Moriabro noch nach einem Pferdefuß dabei suchte, war Dellin ganz Paladin. „Das nennt man in anderen Gegenden unzerstörbar. Aber das kann ich mir nicht vorstellen – oder kann das wirklich sein?“
„Wie murmelt der Volksmund?“, fragte Moriabro da schon und gab auch selbst die Antwort: „Nur Versuch macht richtig kluch.“ Beide nickten sich schweigend zu, nahmen alles an sich, was zu ihnen gehörte und gingen hinunter und auf die Straße hinaus. Durch das große Tor der beburgten Stadt Stormwind liefen sie hinaus in den umgebenden Wald und Dellin rammte auf einer Lichtung nahe der Straße eine Duellfahne in den Boden. Damit machte er bekannt, dass er einem Duell, gegen wen auch immer, nicht abgeneigt sei.
Nur wenige Minuten später blieben die ersten Schaulustigen stehen. Dann kam ein kräftiger Zwerg, dem Aussehen und Auftreten nach ein Krieger aus Ironforce, und lachte mit tiefer Stimme: „Na du Schönling? Willst du wirklich, dass ich dir die Rüstung in Späne zerlegen, so lange du noch in ihr steckst?“
Moriabro sah plötzlich ganz lieb aus. Diesen Anblick kannte Dellin. Bei anderen Menschen schwoll in solche Momenten die Zornesader oder sie wurden rot vor Wut. Seine Schurkin sah hingegen besonders handzahm aus, bevor sie explodierte. Nur ihre Stimme passte nicht dazu dann. „Pass mal auf, dass er dir nicht noch den Rest deiner Stummelbeine bis zu den Eiern abtrennt – wenn du überhaupt Eier hast.“
Diese von öffentlichem Gejohle belohnte Äußerung einer jungen Frau brachte den zwergischen Krieger richtig in Wut und mit einem Schrei stürzte er sich auf Dellin, der noch nicht einmal sein Schwert gezogen hatte. Also drehte er sich elegant aus der Angriffsrichtung, zog in der Bewegung das riesige Schwert aus der Rückenscheide und schlug dem Zwerg aus der Kreisbewegung von unten dessen Helm vom Kopf.
Der Angreifer war Realist genug zu erkenne, dass er es nur der Geschicklichkeit seines Gegners verdankte, dass lediglich der leere Helm, ohne Kopf darin, wenige Meter entfern auf de Boden fiel. Sichtlich beeindruckt stürzte er sich auf seine Kopfbedeckung, packte den Helm und rannte unter dem spöttischen Beifall der Zuschauer davon.
„Kannst du das auch mit einem richtigen Gegner, Dellin?“, fragte eine verächtliche Stimme und ein großer Paladin drängte sich durch die bereitwillige weichende Zuschauermenge.
Darknoss! Ausgerechnet! Dellin fühlte sich unbehaglich. Darknoss war so etwas wie sein Angstgegner, obwohl ihre Duelle bisher immer zu Dellins Gunsten oder unentschieden ausgegangen waren. Aber Dellin hatte das unbestimmte Gefühl, dass es Darknoss nicht viel ausmachen würde, ihm tatsächlich den Kopf abzuschlagen. Eine gute Ausrede würde er sicher bereits parat haben.
Unwillkürlich lockerte Moriabro ihre Dolche in den Scheiden. „Wage es ja nicht, dich einzumischen, Mistbiene.“, zischte Darknoss ihr zu, ohne den Kopf von Dellin abzuwenden. Ansatzlos, blitzschnell und mit Wucht führte Darknoss den ersten Schlag gegen Dellin, der gerade noch parieren konnte. Als sich die beiden Schwerter der Kontrahenten trafen, begann Darknosses Schwert kurz rötlich zu schimmern.
„Verdammt!“, entfuhr es Moriabro. Und auch Dellin, stets ganz bei der Sache, wenn es um tätliche Auseinandersetzungen ging, hatte gesehen, dass dieses Schwert wohl schamanische Zauber in sich barg. Für einen Paladin eine unehrenhafte aber effektive Unterstützung.
Darknoss holte zu einem neuen wuchtigen Schlag aus und Dellin überlegte einen Sekundenbruchteil, ob er sich ernsthaft wehren sollte, unterließ es aber. Er wollte ja das Ergebnis des Nebels vorhin sehen. Also riskierte er viel, indem er seinem Gegner scheinbar unvorsichtig die offene Flanke bot. Triumphierend hieb dieser auch sofort in die vermeintliche Lücke.
Aber irgendwie verlor Darknoss dabei sein Schwert aus der Hand und mit einem Schmerzensschrei hielt er sich mit der Linken das rechte Handgelenk, das jetzt in einem ungewöhnlichen Winkel stand. Offenbar hatte er es sich gebrochen. „Du hast nur wieder Glück gehabt, du Lichtgestalt, du widerliche!“ Zornbebend hob Darknoss sein Schwert auf und verließ den Duellplatz. Hinter ihm schloss sich der mittlerweile ansehnliche Kreis von Neugierigen.
Während alles dem unterlegenen Darknoss nachsah, bemerkte Moriabro aus den Augenwinkeln einen heranfliegenden Schatten. Doch statt auszuweichen, drehte sie sich wütend einmal kurz um die eigene Achse und verwandelte mit einem heftigen Fußtritt das Gesicht des Angreifers in eine blutige Masse aus Fleisch und Knochensplittern. Mit einem leisen Röcheln sank dieser zu Boden. Eine Schurkin von hinten angreifen! Der liebe Gott muss merkwürdige Menschen lieben, er macht so viele davon!
Angehörige der Paladinwache drängte sich heran und suchten nach Gegnern, die zu trennen waren. Immer wieder kam es vor, dass diese Duelle ausuferten. Aber Dellin stand friedlich da und packte seine Duellfahne wieder ein. Moriabro sah interessiert auf das nun doch stöhnende Bündel Mensch zu ihren Füßen. Dabei hoffte sie, dass es sich bei ihrem Angreifer um einen Bewunderer von Darknoss handeln möge. Wenn nicht, könnte es sein, daß sie doch schon auf einer Abschußliste stand und davon hielt sie absolut nichts.
Vielleicht war sie zu oft während der sich in letzter Zeit häufenden Angriffe der Horde auf Lakeshire zwischen den Angreifern gesehen worden.
Sie hatte sich gut getarnt stets in der Nähe eines Trollschamanen oder Hexenmeisters gehalten und konnte so aus nächster Nähe beobachten, mit welcher Effektivität und Disziplin die Hordler ihre magischen Kräfte einsetzten. Im Gegensatz zu den zwar tapferen aber relativ unorganisierten Allianzkräften schien unter den Angreifern jeder Einzelne einen ganz bestimmten Aufgabenbereich zuverlässig abzudecken.
Dieser verfluchte Troll wurde ohne Pause von sich ablösenden Orks, Tauren und Trollen geschützt und wirkte systematisch seine Heil- und Zauberkräfte auf die direkt kämpfenden Angreifer. Irgendwann entdeckte man sie natürlich und auch wenn sie sich stets mit letzter Kraft davon machen konnte, hatte man sie wohl inzwischen als beständig irritierende Mücke zur Kenntnis genommen.
Nun ja. Man würde sehen.
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