Prolog
Zu jener Zeit, die jetzt so lange zurück liegt, dass sie nicht einmal mehr in Legenden und Sagen eine Erinnerung hinterlassen hat, gelang es auf einem Planeten nahe des galaktischen Zentrums, einen technischen Weg zu finden, die natürliche Zeitbarriere zu durchbrechen.
In völliger Unkenntnis über die tatsächliche Beschaffenheit von Zeit, verhaftet der archaischen Idee, Zeit würde, ähnlich wie ein Fluss, sequentiell verlaufen und sie wären die einzig intelligente Spezies im gesamten Universum, begannen die dortigen Forscher damit, Exkursionen in "ihre" Vergangenheit zu unternehmen. Bereits diese ersten vorsichtigen Schritte führten zu temporalen Verwerfungen und abrupten Verlaufsänderungen, die sich nicht nur in unmittelbarem Bezug zu den Forschern und ihrer Welt auswirkten.
Zurückgekehrt, stellten diese Unglücklichen fest, dass sich in ihrer Welt durch zeitfremde Einflüsse Dinge verändert hatten. Nach eingehender Beratung entschloss man sich dann, in die Vergangenheit zurück zu kehren und die unerwünschten Verläufe durch gezielte Manipulationen zu korrigieren. Die Auswirkungen dieser ungeschickten Einflussnahmen waren, für sie selbst nicht bemerkbar, in weiten Bereichen des Universums katastrophal.
Vom Volk der Seidendenker existieren heute nur noch Fragmente ihrer wunderbaren Epen und Gedichte. Die mehrdimensionalen Abbildungen der Luminier können nur noch mit hohem technischen Aufwand erkannt und erhalten werden. Als eine Delegation der Antanen mit einem Vegetationsschiff der mit ihnen befreundeten Symnat auf ihre Spezialistenwelt zurückkehrte, fanden sie nicht nur alle Planeten ihres Systems entvölkert vor. Auch alle Geräte, Maschinen, Bauwerke und sonstige Gerätschaften, die auf antanischer Technologie beruhten, waren unbrauchbar. Jedes antanische Bauteil war entweder zu feinem weißem Staub zerfallen oder einfach verschwunden. Globale Umweltkatastrophen, ausgelöst durch Fehlsteuerung der Klimarechner, Explosionen, geborstene Staudämme und abstürzende Satelliten hatten aus einst blühenden Welten unwirtliche Welten gemacht, die nur noch wenigen Pflanzen und niederen Tieren ein kärgliches Überleben ermöglichten
In den Galaxien starben Millionen intelligenter Wesen, als sich die mit molekularverdichtetem antanischem Metall verstärkten Schotte und Außenwände ihrer Raumschiffe auflösten. Kranke und Verletzte starben, weil während der Operationen Instrumente versagten, die antanische Technik in sich trugen. Die durch Ausfall antanischer Elemente fehlgesteuerten Abwehrforts der Vereinigten Welten vernichteten binnen weniger Momente alles, was in ihre Reichweite gelangte. Anschließend versetzten sie die Welten, zu deren Schutz sie eigentlich erbaut waren, in Kernbrände und aktivierten dann ihre Selbstzerstörungsautomatiken.
In einer großen gemeinsamen Anstrengung gelang es der Vereinigung der Völker, den Ursprung der temporalen Deformation herauszufinden. Während des darauf folgenden großen Zeitenkrieges gelang es, die Temporaltechnologie und alle Völker und Planeten, die auch nur in den Verdacht geraten waren, über Temporaltechnologie zu verfügen oder an ihrer Entwicklung zu arbeiten, zu vernichten. Ihre Welten wurden verwüstet, ihre Sonnen zu Novae aufgeheizt und versucht, alle Spuren ihrer Existenz vernichtet.
Die verzweifelten Versuche der wenigen Überlebenden, durch temporale Manipulationen den Exodus ihrer Welten zu verhindern oder wenigstens rückgängig zu machen, führten zu weiteren schwerwiegenden temporalen Verschiebungen.
Gegen Ende des großen Zeitenkrieges wurde bekannt, dass vereinzelt Vertreter ganz unterschiedlicher Völker eine Fähigkeit zu entwickeln begannen, temporale Manipulationen ohne technische Mittel zu erkennen, sie gewissermaßen zu "sehen". In Klöstern, Instituten und anderen Einrichtungen konnten diese Begabungen untersucht und entwickelt werden. Man fand dabei heraus, dass es diesen Begabungen, sobald sie eine gewisse Sicherheit in der Wahrnehmung zeitlicher Unstimmigkeiten erlangten, auch möglich war, ohne technische Mittel von ihrem eigenen Zeitstrom in andere zu wechseln. In der ersten Panik, zusätzlich zu der Bedrohung durch die Temporaltechnologie jetzt vermeintlich eine neue Bedrohung zu erkennen, wurden viele dieser Begabungen erbarmungslos getötet.
Erst Samta Naya, der Äbtin des Sonnenkloster auf Nurmi, gelang der Nachweis, dass es zu dieser Begabung gehörte, sich durch unterschiedliche Zeitströme zu bewegen und in den jeweiligen Zeiten aufzuhalten, OHNE destabilisierende Impulse auszulösen. Die Verfolgung der mit dieser Fähigkeit geborenen Personen wurde daraufhin relativ rasch eingestellt. Allerdings wirkte der Schock unter den temporal Begabten noch lange nach und es gelang nur schwer, sie dazu zu bewegen, sich zu erkennen zu geben.
Angesichts dessen jedoch, dass es einzelnen Vertretern der Zeitverbrecher gelungen sein könnte, sich der Vernichtung ihrer Rasse durch Flucht in andere Zeitstränge zu entziehen und womöglich Temporaltechnologie zu retten oder doch Unterlagen darüber, die eine erneute Entwicklung derartiger Geräte möglich machen, entschlossen sich die Vereinigten Völker, aus der Not eine Tugend zu machen und schufen die "Schattengilde".
Jeder, der diese temporale Begabung mitbrachte, hatte die Möglichkeit, sich um Aufnahme in einem Sonnenkloster oder aber an der Kriegsakademie von Halut zu bemühen. Jene, die nach Absolvierung einer Art "Grundausbildung" erkennen ließen, dass sie lediglich zur Wahrnehmung zeitlicher Manipulationen befähigt waren, konnten sich danach unbesorgt wieder ihrem bisherigen Leben zuwenden. Sie erhielten jedoch die strenge Auflage, sich regelmäßig zu "Nachuntersuchungen" einzufinden.
Diejenigen jedoch, deren Begabung weit über diese Wahrnehmung hinaus ging, traten in die "Schattengilde" ein. Hierdurch erhielten sie nicht nur die Möglichkeit, sich vor immer noch vereinzelt vorkommenden Nachstellungen zu schützen. Sie absolvierten jetzt ein umfassendes Ausbildungs- und Trainingsprogramm und konnten innerhalb der Schattengilde und den angegliederten Einrichtungen einem Beruf nachgehen, der ihnen zusagte. Oder aber, und das war die Hoffnung der Initiatoren, sie entschlossen sich, regulär als "Schatten" tätig zu werden.
Auch wenn noch nicht alle Geheimnisse, die mit dieser neuen Fähigkeit zusammen hingen, entdeckt waren, gab es doch ein paar Aspekte, die als sicher gelten durften.
So war es nicht möglich, Materie durch die Zeitströme zu transportieren. Das betraf auch die Körper der so begabten Personen. Sobald ein "Schatten" seine eigene Zeit verließ, verfiel sein Körper in eine Starre und blieb leblos, unter Beibehaltung nur äußerst geringer Lebensfunktionen, einfach dort liegen, wo er sich gerade befand. Um den zurückbleibenden Körper bildete sich ein schützendes Stasisfeld, das weder durchbrochen noch durchleuchtet werden konnte. Man nahm an, dass sich die Körperhülle in eine Art minimales Zeitfeld hüllte, dass den Körper nur wenige Sekundenbruchteile in der Zukunft hielt und somit allen Einflüssen entzog.
Ein zweiter Aspekt war, dass sich die so "reisenden" Personen in den jeweiligen Zeitstrom regelrecht "hinein gebären" mussten. Sie unterlagen vom ersten Augenblick an allen dort herrschenden Naturgesetzen und kamen zunächst ganz normal und unter den jeweiligen Bedingungen dort zur Welt. Danach durchliefen sie einerseits die der jeweiligen Spezies eigene körperliche, geistige und kulturelle Entwicklung. Der Unterschied zu den "eigentlichen" Vertretern der jeweiligen Art war nur der, dass sie sich im Rahmen der dortigen Bedingungen, sehr schnell entwickelten und über ausgezeichnete geistige und körperliche Gesundheit verfügten.
Mit Erreichen der artspezifischen körperlichen Reife verfielen sie während einer der üblichen Ruheperioden in eine Art Tiefschlaf, in dem Erinnerungen aus ihrer eigenen Zeit komplettiert und in ihre jetzige Existenz integriert wurden. Erst dann konnten sie dazu übergehen, ihren Auftrag zu erfüllen. Ein gewaltsamer Tod beendete ihre "Reise" und brachte sie ebenso schnell zurück in ihren eigenen Körper, wie der bewusste Entschluss, zurück zu kehren. Alle Handlungen der "Schatten" waren in die regulären Handlungsstränge der jeweiligen Umgebung und Zeit integriert. Aufgrund ihrer Fähigkeit, temporale Manipulationen zu "sehen", war es ihnen relativ leicht möglich, zu handeln, ohne den natürlichen Verlauf zu verändern. Vor allem aber konnten sie auch geringste temporale Verfremdungen erkennen.
Diese "Schatten" hatten die Aufgabe, nach möglicherweise noch lebenden Angehörigen der Zeitverbrecher zu suchen, sie aufzuspüren und evtl. vorhandene Temporaltechnologie zu vernichten. Die Zeitverbrecher selbst und ihre Familien wurden dann dort, wo sie sich aufhielten, isoliert und aller Möglichkeiten beraubt, jemals wieder temporale Technologie zu entwickeln – oder sie wurden, falls es keine andere sichere Methode ihrer Isolierung gab, getötet.
Ich bin Shanta,
Tamrätin der Schattengilde von Lorna
Ich bin eine Jägerin.
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