Matrix Reloaded - "Was ist die Matrix?"
Mit dieser Frage leiteten die schweigsamen Brüder Larry und Andy Wachowski im Jahre 1999 überfallartig eine genreübergreifende Revolution des Films ein, die - wie kaum ein Zelluloidprodukt zuvor - die Spreu des staunenden Kinopublikums vom Weizen trennte.
Das innovativste Filmereignis seit Ridley Scott's "Blade Runner" aus dem Jahre 1982 wartete mit einer philosophisch-religiösen Mixtur aus jüdisch-mystischer Kabbala, descartischen Existentialismus und christlicher Erlöserthematik auf, die beim größten Teil der Rezipienten des Films für unauflösliche, gordische Gehirnverknotungen sorgte und sogar in den technisch und choreographisch perfekten Kampf- und Actionszenen zum Nachdenken anregte und somit die Verfluchungen derjenigen Zuschauer auf sich zog, deren cinematographischer und auch realitätsbezogener Verstehenshorizont über oberflächliches, banales Popcorn-Kino in Form von romantischen Liebeskomödchen mit unausweichlichem Happy-End nicht hinausreicht.
Und nun - vier Jahre später - hat der zweite Teil, "Matrix Reloaded", der von vornherein von den Wachowski-Brüdern auf eine Trilogie ausgelegten Geschichte rund um den Auserwählten Neo (Keanu Reeves), der - der Prophezeiung gemäß - die Menschheit von der Geißel der Maschinen zu befreien bestimmt ist, den Weg auf die große Kinoleinwand gefunden.
Nachdem der erste Teil nahezu ohne Werbung von Null auf den begrifflich strapazierten Status "Kultfilm" geklettert ist, waren die Erwartungen an die Fortsetzung mindestens genauso hoch wie die atemberaubenden 300 Millionen Dollar Produktionskosten für die Teile 2 und 3, die u. a. in Australien gleichzeitig abgedreht worden sind.
Ebenso hoch waren aber auch die Befürchtungen, daß sich - angesichts des Erfolges des ersten Teils - die kreative Matrix-Story, an der die Wachowski-Brüder 11 Jahre lang gearbeitet und gefeilt haben bevor auch nur die allererste Klappe fiel, zu sehr dem Mainstream-Diktat Hollywoods beugen würde.
Doch man kann heilfroh und erleichtert aufatmen und konstatieren, daß nichts von all dem eingetreten ist und der Film seinen Erwartungen mehr als gerecht wird - zumindest für diejenigen, die schon im ersten Teil bereit waren, die rote Pille zu schlucken und in den Kaninchenbau hinab zu steigen!
Die Matrix hat uns - und sie wird die Gemüter noch mehr spalten als der erste Teil.
Zu groß wird die geistige Anstrengung für die überzähligen Kinobesucher sein, dem Irrtum abzuschwören, daß es sich bei der Matrix-Trilogie vordergründig um grandiose Martial-Arts- und Actionfilme handelt, die zwar unterhaltsam, aber seelenlos sind.
Zu lästig wäre es für sie, sich den unbequemen, aber existentiellen Fragen der Charaktere des Films zu stellen, zu sehr werden sie der Verführung von "Bullet Time", "Burly Brawl" und einer 14-minütigen Autoverfolgungsjagd, die diesen Begriff neu definiert, erlegen sein und nicht zuletzt wegen der fast einstündigen aber elementar wichtigen Exposition über das, was Zion sein soll, enttäuscht darüber, doch mehr erwartet zu haben, das Kino wieder verlassen - mit der blauen Pille im Magen...
Doch in der Umkehrung desselben liegt gerade das große Verdienst der Wachowski-Brüder, uns eine Story zu liefern, die eine so allumfassende und durchdringende Stärke und Genialität besitzt, daß selbst die in "Matrix Reloaded" demonstrierte Speerspitze der Special-Effects-Technologie in den wohl brachialsten und durchdachtesten Actionsequenzen, die jemals in einem Film zu sehen waren, nicht die konfliktgeschwängerten Fragen nach Bestimmung und (K)Eine-Wahl-Haben, nach dem, was Realität - und die Vorstellung von ihr - sein soll und was sie der Matrix nach ist, und danach, ob die Menschheit jemals lernen wird, eine andere, bessere Welt als die unsrige wahnsinnig gewordene auch nur zu tolerieren, zum Verstummen bringen kann.
Was ist also die Matrix?
Nach dem zweiten Teil sind wir von einer Antwort weiter entfernt als zuvor! Zu groß ist die Anzahl der (noch) ungelösten Fragen am offenen Ende des Films, zu groß die Anzahl der neu eingeführten Charaktere, zu weitreichend die Wandlung der bereits etablierten Rollen und zu vielfältig sind die neu eingeschlagenen, aber nicht minder faszinierenden, Handlungsstränge mit einer Fülle von Details, die auch im zweiten Teil wieder Anlaß zu den mannigfaltigsten Spekulationen und Interpretationen geben werden.
Zurück bleibt ein für ein "Movie in the middle of a Trilogy" außergewöhnlich kunstvoll auf die Spitze getriebenes Spannungsfeld zwischen Hoffnung auf Rettung am Ende des ersten Teils und bangender Verzweiflung am Ende des zweiten, nicht zuletzt genährt durch das Auffinden des Architekten der Matrix in einer der Schlüsselszenen des Films, der sogar Neo's Mentor Morpheus (Laurence Fishburne) an der Prophezeiung zweifeln läßt und zu einem darstellerisch überzeugenden, modernen Hiob macht.
Was bleibt, ist die Gewißheit, daß Larry und Andy Wachowski uns ab dem 5. November 2003 mit "Matrix Revolutions" den Abschluß der bereits jetzt wohl einflußreichsten und einzigartigsten Filmtrilogie der Geschichte liefern werden. Sie werden uns weiterhin die Tür zeigen, hindurch gehen müssen wir schon selbst - genügend Intelligenz vorausgesetzt...
Mit "Matrix Reloaded" steigt man bereits jetzt tiefer in den Kaninchenbau hinab als jemals zuvor!